Spezialthema | Bioökonomie in Berlin-Brandenburg – Nachhaltig durch die Weihnachtszeit
Was hat nachhaltiges Weihnachten mit der Gesundheitsforschung gemeinsam? So einiges! Denn die Bioökonomie, die darauf abzielt, Ressourcen effizient und nachhaltig zu nutzen, bietet nicht nur Lösungen für die Life Sciences und Gesundheitswirtschaft, sondern auch in der Industrieproduktion. Und sorgt damit für mehr Nachhaltigkeit in der Weihnachts- und Adventszeit – auch dank der vielfältigen Forschung in Berlin und Brandenburg.
„Aber dieses Jahr schenken wir uns nichts!“ Wer hat nicht schon mindestens einmal diesen Vorsatz zu den Feiertagen gefasst? Aber mal ehrlich: Wie oft hat das funktioniert? Der Hintergrund dieses Gedankens ist dennoch aktueller denn je: Die Ressourcen werden knapp, die Müllberge wachsen – eine Erde reicht längst nicht mehr aus für die Bedürfnisse der Menschheit. Schaut man nach dem Feiertagsmarathon auf die eigene Ökobilanz – sei es beim Essen oder bei den Geschenken – fragt man sich: Geht das nicht nachhaltiger? Doch welche Konzepte für mehr Nachhaltigkeit gibt es und wie weit sind sie in der Anwendung? Wir sagen: Fragen wir die Biotechnologie!
Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) bezeichnet sie auf seiner Webseite als „Game-Changer“ an der Schnittstelle von Biologie, Medizin, Chemie und den Ingenieurswissenschaften. Damit ist die Biotechnologie ein wichtiges Feld der Bioökonomie, die zum Ziel hat, Ressourcen und Reststoffe effizient sowie nachhaltig zu nutzen. Zwar sind laut BMWK die meisten Biotech-Unternehmen im medizinischen Bereich zu Hause, doch viele Beispiele aus der Metropolregion Berlin-Brandenburg zeigen, dass es durchaus auch andere Anwendungsbereiche für diese wichtige Technologie gibt.
Food-Start-ups mit Fleischalternativen
Ohne Schlemmerei ist es nur eine halbe Weihnachtszeit. Dass das auch nachhaltig geht, zeigen gleich mehrere Food-Start-ups, die Alternativen zu Gänsebraten und Co. anbieten. Etwa Nosh.bio, das aus gentechnikfreien Pilzen der Sorte Koji mittels Fermentation hochfunktionelle Proteine herstellt. Diese können dann laut dem Unternehmen unter anderem als Fleischersatzprodukt genutzt werden. Im August wurde bekannt, dass der Fleisch- und Wursthersteller Zur Mühlen Gruppe in Nosh.bio investiert, um den Fleischersatz Koji Chunks auf den Markt zu bringen. Das Berliner Unternehmen Formo wiederum nutzt die gleiche Pilzart wie Nosh.bio und stellt daraus Milchprodukte wie Frischkäse her.
Auch Cultimate Foods konzentriert sich auf Fleischersatz: Am Sitz im BerlinBioCube wird durch eine Kombination von pflanzlichen Proteinen und zellbasierten Inhaltsstoffen ein alternatives Fett entwickelt, das dem Fleischersatz authentischen Geschmack und Textur verleihen soll. Wer gerne Meeresfrüchte isst und dabei nachhaltig bleiben möchte, der wird womöglich bald bei Pacifico Biolabs fündig: Das Berliner Start-up arbeitet an einer veganen Alternative mittels Fermentationsverfahren von mehreren Mikroorganismen, einschließlich Myzel.
Chemische Grundstoffe aus Resten der Haferdrink-Herstellung
Mit Lebensmittelresten – genauer gesagt Hafertrester aus der Haferdrink-Herstellung und der Sauermolke aus der Quarkproduktion – beschäftigt sich das Projekt EcoSuccinat am Institut für Lebensmittel- und Umweltforschung im brandenburgischen Bad Belzig. Die gewonnene Bernsteinsäure soll als chemischer Grundstoff genutzt werden – etwa bei der Konservierung von Lebensmitteln oder bei der Herstellung von Arzneimitteln und in der Kosmetikindustrie.
Reste sind ebenfalls bei ConversionTec in Wildau relevant: Gemeinsam mit der 360 Grad GmbH hat das Unternehmen den Organic Waste Converter entwickelt, der KI-gestützt organische Abfälle – insbesondere aus der Schlachtindustrie – zu neuen Biomaterialien verarbeitet.
Alternativen zu konventionellen Kunststoffen
Als Reste von Geschenken bleiben oft auch Verpackungen aus Kunststoff, jene werden meist weggeworfen – oft mit negativen Umweltauswirkungen. Dass es auch nachhaltiger geht, zeigen gleich mehrere Forschungseinrichtungen in der Metropolregion: Das Labor Umwelt- und Bioverfahrenstechnik an der Berliner Hochschule für Technik, geleitet von Prof. Dr.-Ing. Sebastian L. Riedel, legt einen Schwerpunkt auf biologisch abbaubare Kunststoffe. Am Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie in Potsdam konzentriert sich ein Teil der Mitarbeiter auf die Herstellung von Biokunststoffen mithilfe von biobasierten Chemikalien. Das Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung will mit seinen Forschungen unter anderem eine zirkuläre Kreislaufwirtschaft ermöglichen, die die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffquellen reduziert. Dazu werden unter anderem Biopolymere aus nachwachsenden Rohstoffen wie Cellulose, Stärke, Lignin oder Proteinen untersucht, um nachhaltige Produkte zu entwickeln.
Entwicklung von Chemikalien aus erneuerbaren und ungiftigen Ressourcen
Apropos nachhaltige Produkte: Eine ganze Reihe von Berliner Unternehmen und Projekten widmet sich der Frage, wie die chemische Industrie sich so wandeln kann, dass ihre Produkte aus erneuerbaren und ungiftigen Ressourcen hergestellt und im Idealfall auch biologisch abbaubar sind. So forscht das vom Bund geförderte Konsortium greenCHEM an der Chemie von morgen und entwickelt dafür neue Materialien. Angesiedelt ist greenCHEM an der Chemical Invention Factory der TU Berlin, die Labore und die Forschungsinfrastruktur für Erfindungen in den Bereich Grüne Chemie, Materialien und Nanotechnologie bereitstellt.
Mit Erforschung von Katalysatoren und wie diese grüner eingesetzt und gestaltet werden können, setzt sich das Exzellenzcluster UniSysCat an der TU Berlin auseinander. Biokatalytische Entwicklungen sind auch die Aufgabe des 2004 gegründeten Unternehmens Bioworx im Technologiepark Adlershof. Bioworx bietet unter anderem Dienstleistungen und Auftragsarbeiten mit den Schwerpunkten Biotransformationen und Produktsynthesen sowie biochemische Untersuchungen und Produktisolierungen an. Die Gründerin des Unternehmens DexLeChem, Sonja Jost, hat ein Verfahren erfunden, bei dem Katalysatoren in Wassern und anderen grünen Lösungsmitteln verwendet werden können – und damit einfach zu recyceln sind. Das Berliner Start-Up Cambrium wiederum stellt mithilfe von Künstlicher Intelligenz bio-basierte Materialien her – erste Einsätze haben diese in Hauptpflegeprodukten.
Geldbeutel und Gebäude aus Pilzen?
Als Geschenk sind Hautpflegeprodukte zwar auch eine gute Wahl, doch wie wäre es dieses Jahr mit einem Geschenk aus Pilzen unterm Baum? Möglich macht dies unter anderem das Unternehmen Zvnder, das aus Pilzen und Holztextilien unter anderem Geldbeutel und Mützen herstellt. Die Biotechnologin Vera Meyer möchte bei der Verwendung von Pilzen noch ein paar Schritte weiter gehen und forscht als Leiterin des Fachgebietes Angewandte und Molekulare Mikrobiologie an der TU Berlin, inwieweit Pilze auch im Hausbau eingesetzt werden könnten. Was die Pilzbiotechnologie als Innovationsmotor für eine biobasierte Wirtschaft alles leisten kann, hat die TU vor ein paar Jahren auch in einem Weißbuch untersucht.
Für alle Unternehmen der Metropolregion, die gerne nachhaltiger werden wollen, gibt es auch ein niedrigschwelliges Beratungsangebot der Koordinierungsstelle für Kreislaufwirtschaft, Energieeffizienz und Klimaschutz im Betrieb (KEK). Neben Workshops sind auch Detailberatungen im Programm. Start-ups wiederum können sich an das staatlich geförderte Start-up Labor Schwedt wenden, das gemeinsam mit den neuen Unternehmen, Industriepartnern und der Region an der industriellen Zukunft arbeiten will. Unter anderem können die Start-ups am Ölraffinerie-Standort Schwedt in Brandenburg ihre Technologien an einem großindustriell geprägten Ort ausprobieren.
Weiterführende Links:
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Webseite Nosh.bio https://www.nosh.bio/
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Partnerschaft Nosh.bio mit Zur Mühlen Group https://www.healthcapital.de/news/artikel/noshbio-partners-with-leading-european-meat-producer-to-launch-worlds-first-single-ingredient-meat-analog/
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Webseite Formo https://eatformo.com/
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Webseite Cultimate Foods https://www.cultimatefoods.com/
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Webseite pacific biolabs https://www.pacificobiolabs.com/
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Webseite Projekt EcoSuccinat https://www.ilu-ev.de/portfolio-items/ecosuccina/
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Webseite Conversiontec https://conversion-tec.com/
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Webseite 360Grad GmbH https://360agrar.com/
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Webseite Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie https://www.atb-potsdam.de/de/
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Webseite Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung https://www.iap.fraunhofer.de/en/Themes/bioeconomy-sustainability.html
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Webseite greenCHEM https://www.greenchem.berlin/
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Interview greenCHEM: Interview | Martin Rahmel, Coordinator greenCHEM and Managing Director Chemical Invention Factory (CIF) | Cluster Gesundheitswirtschaft Berlin-Brandenburg
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Webseite Chemical Invention Factory https://www.chemicalinventionfactory.com/
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Webseite Exzellenzcluster UniSysCat https://www.unisyscat.de/about-us/unisyscat-at-a-glance
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Webseite Bioworx https://www.bioworx.de/index.html
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Webseite DexLeChem http://www.dexlechem.com/home_en
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Webseite Cambrium https://www.cambrium.bio/
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Webseite Zynder https://www.zvnder.com/index.html
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Zum Weißbuch der TU Berlin „Pilzbiotechnologie als Innovationsmotor für eine biobasierte Wirtschaft“ https://nachrichten.idw-online.de/2020/05/18/tu-berlin-wenn-aus-pilzen-zukunft-wird-weissbuch-erschienen
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Beratungsangebot der Koordinierungsstelle für Kreislaufwirtschaft, Energieeffizienz und Klimaschutz im Betrieb (KEK) https://www.berlin.de/service-energieeffizienz-kreislaufwirtschaft/
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Webseite Start-up Labor Schwedt https://startuplabor-schwedt.de/