Die elfte Ausgabe der International Bioeconomy Conference fand in Leuna statt, unweit der Stelle, an der derzeit Deutschlands größte kommerzielle Holz-Bioraffinerie errichtet wird.
Die International Bioeconomy Conference ist der jährliche Treffpunkt für Entscheiderinnen und Entscheider internationaler Konzerne, Gründerinnen und Gründer erfolgreicher Start-ups sowie Akteure aus Wissenschaft und Politik. Die elfte Auflage der Konferenz lockte am 14. und 15. Juni rund 160 Teilnehmende in die Räumlichkeiten des CCE Kulturhauses in Leuna, einem klassizistischen Gebäude in direkter Nachbarschaft zum traditionsreichen Chemiepark Leuna. Veranstaltet vom Cluster BioEconomy e.V. bot die Konferenz auch in diesem Jahr ein abwechslungsreiches Programm. Die Schirmherrschaft hatte wie im Vorjahr das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) übernommen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Michael Carl und Carolin Wendel.
„Leuna steht für Zukunft und Technologie“
„Leuna steht für Zukunft, Arbeitsplatzsicherheit und Technologie“, sagte Joachim Schulze, Vorstandsvorsitzender des BioEconomy Clusters. „Hier hat alles angefangen und hier können wir zeigen, wie wir die Weichen für die Bioökonomie als Zukunftswirtschaft stellen“, sagte er.
Per Videobotschaft meldete sich Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), zu Wort. „Die Bioökonomie liegt uns sehr am Herzen. Wichtig ist: Wir müssen Prozesse hochskalieren und eine nachhaltige Bioökonomie international vorantreiben“, so Kellner. Dabei sei eine enge Verzahnung der Nationalen Rohstoffstrategie mit der Kreislaufwirtschaftsstrategie notwendig. In der Biomasse-Strategie, die derzeit von mehreren Bundesministerien erarbeitet wird, habe die Kreislaufwirtschaft einen hohen Stellenwert, so Kellner.
T-Shirt aus Bio-Nylon
Um industrielle Lösungen für die biobasierte Kreislaufwirtschaft drehte sich auch die erste Session in der Arena – einem Dialog-Format, bei dem die Vortragenden auf der Bühne vom Publikum umringt werden. Bruno Versavel von dem auf die Erzeugung von nachhaltigen Materialien spezialisierten Biotech-Unternehmen Genomatica aus San Diego erläuterte, wie sein Unternehmen ein wachsendes Portfolio an nachhaltigen Werkstoffen anbietet, das Unternehmen hilft, den CO2-Fußabdruck ihrer Produkte zu verringern – bei gleicher Leistung.
„Bei den Chemikalien- und Materialherstellern herrscht ein hoher Bedarf nach erneuerbaren Quellen für Kohlenstoff“, so Versavel. Genomatica stellt biotechnisch auf der Basis von nachwachsenden Rohstoffen die Grundbausteine für Bio-Nylon her. Eine der Komponenten ist Bio-Butylglykol, das die Kalifornier beim Auftragshersteller EW Biotech in Leuna im großen Maßstab produzieren lassen. Wie Versavel berichtete, ist in Zusammenarbeit mit einem US-Hersteller von Yoga-Kleidung ein T-Shirt entstanden, in dem das Bio-Nylon bereits zum Einsatz kommt.
Michael Nelles ist Professor an der Universität Rostock und gleichzeitig Geschäftsführer des Deutschen Biomasseforschungzentrums DBFZ. Seine Erfolgsformel auf dem Weg zur Klimaneutralität lautet: „Material und Energie einsparen + 100% Erneuerbare Energien + biobasierte Kreislaufwirtschaft“. Wenn neue Bioökonomie-Produkte auf den Markt gebracht würden, müsse die Entsorgung mitgedacht werden, so Nelles. Das habe das Negativ-Beispiel der Biokunststoffbeutel für die Biotonne gezeigt, die zu langsam abgebaut werden und für Störstoffe in der Entsorgungskette sorgen.
Biochemikalien aus nachwachsenden Ressourcen
„Bioökonomie ist für die Kreislaufwirtschaft zwingend notwendig, aber leider komplex“, sagte Sebastian Kunz, Senior Manager Biokatalyse bei Europas größtem Zuckerproduzenten Südzucker AG. Er erläuterte, wie das Unternehmen aus Weizen, Futtermais und Gerste gleich drei Produkte parallel herstellt: Ethanol, Futtermittel und biogenes CO2. Mit Blick auf diese vielfältige Produktpalette greife die Tank-Teller-Debatte beim Thema Bio-Ethanol zu kurz, wenngleich damit stark Politik gemacht werde, sagte Kunz. Südzucker erschließt derzeit alternative Nutzungswege für Ethanol: Im Chemiepark Zeitz in Sachsen-Anhalt will der Konzern über seine Tochter CropEnergies eine Anlage errichten, die Ethanol zum chemischen Lösungsmittel Ethylacetat weiterverarbeitet.
Zwei Unternehmen hatten am ersten Konferenztag die Gelegenheit, ihr Geschäftsmodell und erste Produkte vorzustellen. Peep Pitk von Fibenol erläuterte, wie das Unternehmen aus Estland aus Holz und Holzresten nach dem Bioraffinerie-Prinzip eine breite Palette an Produkten gewinnen will, darunter Lignin in verschiedenen Qualitätsstufen sowie Cellulose-Zucker. Zucker aus Pflanzenfasern gewinnt die Supplant Company aus Cambridge. Die Shortbread-Kekse der Briten konnte man auch in Leuna verkosten.
Nachhaltiges Bauen als Themenschwerpunkt
Einen thematischen Schwerpunkt hatten die Organisatoren am ersten Konferenztag auf das Thema nachhaltiges Bauen gelegt. Matthias Zscheile von der TH Rosenheim sprach über das Potenzial von Holzbau für den Klimaschutz und bemängelte, dass bürokratische Hemmnisse abgebaut werden müssten. Das Berliner Start-up alcemy GmbH will mithilfe von digitalem Know-how die Herstellung des Baustoffs Beton CO2-ärmer und damit nachhaltiger machen. Wie Hoang Nguyen von alcemy erläuterte, ziele man besonders darauf ab, den Klinker als besonders CO2-intensive Komponente im Transportbeton zu reduzieren. Wenn auch kein biobasierter Ansatz, so sind die Zahlen von alcemy durchaus beeindruckend: Beim Bau eines Firmenhochhauses in Berlin sei es computergestützt gelungen, den CO2-Fußabdruck des verwendeten Betons um bis zu 55 % zu reduzieren.
Jonas Bielaczek vom Linnaeus Kompetenzzentrum Hanf erläuterte, wie Ziegel aus Hanf in Manufakturen hergestellt werden können und welches Potenzial sie für nachhaltiges Bauen haben. Für die Session war auch Lydia Hüskens, Ministerin für Infrastruktur und Digitalisierung des Landes Sachsen-Anhalt, nach Leuna gekommen. „Im Vergleich zu anderen Bundesländern haben wir in Sachsen-Anhalt mit Leerstand zu kämpfen, dafür gibt es hier eine enorme Expertise in der Umnutzung und Sanierung von Altbauten“, so Hüskens. Ein wichtiges Anliegen sei es, mehr Leben in die Ortschaften zu bringen. Dazu könnten der Holzbau oder auch neue Betone beitragen.
„Zu langsame Transformation verursacht riesige Kosten“
Für einen Keynote-Vortrag war Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), nach Leuna gekommen. Auch wenn er in seinem Vortrag nicht speziell auf das biobasierte Wirtschaften einging, so zeichnete er ein Bild von der Transformation der Wirtschaft als Basis für drei große Wendepunkte: Die Globalisierung, die technologische Transformation (inklusive ökologischer Transformation und Digitalisierung) sowie die soziale Transformation. „Ich bin optimistisch, dass diese Transformationsprozesse eine Chance für Wohlstand sind“, sagte er.
Die ökologische Transformation verlaufe jedoch zu langsam. „Wir sind meilenweit davon entfernt, die Klimaziele zu erreichen“, sagte er. Die ökonomischen Kosten einer zu langsamen Transformation seien enorm. Fratzscher ging auch auf die Digitalisierung und den existenziellen Fachkräftemangel ein, schloss aber versöhnlich. Eine starke Solidarität in der Gesellschaft, starke staatliche Institutionen, resiliente Unternehmen und die Wertschätzung der Wissenschaft seien die Grundpfeiler der Resilienz Deutschlands.
Zu Besuch auf der Bioraffinerie-Baustelle
Der zweite Konferenztag rückte Ostdeutschland als Zukunftsstandort für eine nachhaltige Chemie in den Mittelpunkt. Dazu stellte Jan Weigand von der TU Dresden das Konzept des Großforschungszentrums „Center for the Transformation of Chemistry“ (CTC) vor. Dafür stellen Bund und Länder 1,1 Mrd. Euro aus dem Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen bereit. Das CTC wird in Delitsch bei Leipzig angesiedelt sein.
Der Themenschwerpunkt am zweiten Tag lag insbesondere auf nachhaltigen Lebensmitteln mit Fokus auf alternative Proteinquellen. Die Akteure vor Ort setzen unter anderem auf Algen (Puevit GmbH), Mikroorganismen (Mushlabs) und Gras (Grassa) als Ressourcen. Als große Hürde für innovative Bioökonomie-Unternehmen wurde in der Diskussion die Novel Food-Verordnung in der EU genannt. Sie führe dazu, dass sich die Unternehmen zunächst vorrangig auf die Märkte in Nordamerika und Asien konzentrierten.
Ein Highlight zum Abschluss der International Bioeconomy Conference war für viele Teilnehmenden die Besichtigung von Deutschlands größter Bioraffinerie-Baustelle im Industriepark Leuna: Der finnische Konzern UPM Biochemicals errichtet hier die weltweit erste Bioraffinerie, in der nachhaltig erwirtschaftetes Laubholz in Biochemikalien verwandelt wird. Damit wird der Industriestandort Leuna einmal mehr zum Vorreiter einer zukunftsfähigen Wirtschaftsform.