Forschende der Universität Hohenheim und der TU München haben einen neuen transdisziplinären Lösungsansatz gefunden, der die Zielkonflikte zwischen Biodiversität und Landwirtschaft lösen kann.
Tier- und Pflanzenwelt haben sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Vor allem die Landwirtschaft steht mit ihrer intensiven Bewirtschaftung als einer der Verursacher für den Rückgang der Artenvielfalt in der Kritik. Studien belegen, wie der Einsatz von Pestiziden und Düngern die Umwelt belastet und die biologische Vielfalt bedroht. Die Biodiversität zu erhalten, ohne die landwirtschaftliche Produktion zu reduzieren, ist daher eine der großen Herausforderungen der Zukunft. Forschende der Technischen Universität München und der Universität Hohenheim in Stuttgart haben nun einen zukunftsweisenden Lösungsansatz für diesen Zielkonflikt gefunden.
Neues Mensch-Maschine-System entwickelt
Diesen Lösungsansatz bezeichnen die Forschenden als „Hybride Intelligenz“. Dahinter verbirgt sich das Zusammenspiel von Mensch und Maschine. Hybride Intelligenz verbindet demnach die Expertise eines transdisziplinären Forschungsteams und wird ergänzt durch die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz bei der Zusammenführung und Verarbeitung von großen Datenmengen. „Durch die Kombination der intuitiven Fähigkeiten von Menschen mit der Rechenleistung moderner Computer und der Analysefähigkeit von Künstlicher Intelligenz haben wir erstmals ein Mensch-Maschine-System, das komplexe Probleme in der Landwirtschaft adressieren kann„, sagt Thomas Berger, Agrarökonom an der Universität Hohenheim und Erstautor der Studie, die im Fachjournal „Nature Foods“ erschienen ist.
Virtuelles Abbild der Wirklichkeit
Durch die Koppelung von Computermodellen mit sogenannter Multi-Agenten-Technologie für ökologische, soziale und wirtschaftliche Prozesse mit Künstlicher Intelligenz kann das Forschungsteam nun ein detailliertes virtuelles Abbild der Wirklichkeit schaffen, da sich so verschiedene Maßnahmen und Auswirkungen simulieren lassen und die Akteure bei der gemeinsamen Entscheidungsfindung unterstützt werden.
Im Rahmen der Studie benennt das Team sowohl Hürden, die einer Lösung des Zielkonflikts bisher im Wege stehen, als auch Beispiele für die Anwendung der „Hybriden Intelligenz“. Als Problem werden unter anderem die vielen Daten benannt, die sich aus verschiedensten Quellen wie Nah- und Fernerkundung sowie statistischen Erhebungen ergeben, aber unzusammenhängend und stark fragmentiert sind, sowie landwirtschaftliche Praktiken, die sich „nach kurz- und mittelfristigen ökonomischen Zielen auf Feld- und Betriebsebene“ richten. „Die langfristigen ökologischen Auswirkungen zeigen sich dagegen auf der Landschaftsebene von 100.000 Hektar“, sagt Berger.
Probleme und Lösungen in der Landwirtschaft
Aus ökologischer Sicht sei es daher notwendig, die Landschaftsebene zu betrachten und die Interaktionen von vielen landwirtschaftlichen Betrieben räumlich und zeitlich besser zu verstehen, schreibt das Team. Senthold Asseng von der TUM verweist darauf, dass auch Agrarumweltmaßnahmen bisher kaum betriebsübergreifend koordiniert werden und bisherige Förderprogramme in der Agrar- und Umweltpolitik kaum auf biodiversitätsfreundliche Synergien ausgelegt seien. „Bislang legt jeder Betrieb für sich und ohne Koordination mit den Nachbarn die Blühstreifen irgendwo an. Insgesamt gesehen bleiben die Blühstreifen so ein zersplittertes Phänomen mit begrenzter Wirksamkeit“, sagt Asseng.
Vielversprechender seien daher Ausgleichszahlungen an Gruppen von Landwirtinnen und Landwirten statt an einzelne Betriebe, die ihre Blühstreifen auf Landschaftsebene mit dem Einsatz Hybrider Intelligenz koordinieren, schreiben die Forschenden. So könnten komplexe Daten über Bodenbeschaffenheit, lokale Biodiversität und ähnliche Faktoren analysiert und Standorte identifiziert werden, an denen betriebsübergreifende Umweltmaßnahmen besonders effektiv und die Ernteeinbußen möglichst gering wären. In einem zweiten Schritt könnten dann KI-Systeme helfen, den Informationsaustausch und die Planung von gemeinsamen Projekten zu erleichtern.
Auswirkungen auf Biodiversität und Ertragsverluste minimieren
Der neue Lösungsansatz bietet den Forschenden zufolge Akteuren aus Landwirtschaft, Beratung und Politik die Möglichkeit, ein virtuelles Abbild ihres Lebens- und Wirtschaftsraumes zu schaffen und die Maßnahmen im Vorfeld einer möglichen Implementierung auszuprobieren. „So ließen sich die Auswirkungen auf die Biodiversität und ihre Erträge besser abschätzen und die Kosten für alle Beteiligten minimieren“, so Mitautorin Claudia Bieling von der Universität Hohenheim.
Die Forschenden sind überzeugt, dass Hybride Intelligenz der Schlüssel zur Lösung einiger der drängendsten Probleme in der Landwirtschaft ist. Ob sich der neue Lösungsansatz durchsetzt, hängt den Forschenden zufolge nicht zuletzt von der Akzeptanz der Technologie ab. „Die Aussichten sind sehr vielversprechend. Aber es besteht noch grundlegender Forschungsbedarf, um diese Technologie erfolgreich weiterzuentwickeln und anschließend zu implementieren. Hierfür benötigen wir die Zusammenarbeit aller Beteiligten aus Wissenschaft, Praxis und Gesellschaft“, sagt Berger.